INNENARCHITEKTUR UND SZENOGRAFIE / Bachelor

Afrime Zekiri

198 – 3 = CH
DIE KURZFORMEL ALS AUSDRUCK EINER IDENTITÄT

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Der Schweizer Pavillon an der Biennale in Venedig liegt innerhalb des angelegten Städtischen Parks. Seit der Eröffnung der Biennale am 14. Juni 1952 steht der Bau vom Schweizer Architekten Bruno Giacometti vorteilhaft dicht neben dem Haupteingang. Den Besucher erwartet eine in sich ruhende Ausstellungswelt. Von der etwas dunkel gehaltenen Eingangshalle betritt der Besucher den Malerei-Saal. Der gesamte Raum wird von Hochleistungs-Videoprojektoren auf einer Projektionsfläche von insgesamt 11 x 18 Meter bespielt. Diese Projection Mapping erweitert die Grenzen der Wahrnehmung und öffnet dem Besucher eine neue Betrachtungsweise. Exakt zugeordnete Projektionen legen sich wie eine lebendige Hülle über die bestehende Oberflächenstruktur und vermitteln dem Betrachter das Gefühl einer neu erschaffenen Wirklichkeit. Zu sehen sind zeitgenössische Wohnansichten aus 195 Nationen, die sich dynamisch dekonstruieren und energetisch wiederaufbauen und den Raum einnehmen. Mithilfe dieser gemappten 3D-Projektion sind dem Spektrum an Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt. Die Projektoren lassen sich beliebig in Reihe schalten, um auf diese Weise zeitgenössische Wohnansichten von Innenräumen vollflächig zu bespielen. Dem Besucher werden Einblicke in 195 Wohnstuben aus 195 Nationen gewährt. Die Atmosphäre des Raumes ist veränderbar und steht symbolisch für eine vielschichtige Schweizer Bevölkerung. Dieser Raum soll den Besucher anregen über die Schweizer Bewohner nachzudenken, denn unterschiedliche Lebens- und Wohnformen wiederspiegeln auch die unterschiedlichen Schweizer oder Ausländer, die in der Schweiz leben. Lässt sich die Nationalität oder Herkunft eines Menschen allein über den Lebensstil und anhand der Einrichtung verraten? Glaubt man zu wissen, wer hier wohnt?

 

Von da führt der Weg durch den statistischen Atlas der Schweiz (Graphikgalerie) als Verbindungselement in die Skulpturenhalle. In diesem Durchgangsraum befindet sich ein langer Archivtisch mit ausziehbaren Planhalterungen. Mit über 2500 thematischen Karten bietet der Statistische Atlas der Schweiz einen Überblick zu unterschiedlichen Themenbereichen. Der Besucher kann beispielsweise Informationen zu: Raum und Umwelt, Bau- und Wohnungswesen, Räumliche Gliederung der Schweiz, Zuwanderungszahlen u.v.m. physisch einsehen. Eine detaillierte Übersicht über die thematische Gliederung zu den einzelnen Themen sind auf dem Boden sowie auf den ausziehbaren Planhalterungen typografisch markiert und dienen zur Orientierung.

 

Menschen mit Zuwanderungsgeschichten sind aus der schweizerischen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Sie sind Nachbarn, Kollegen, Freunde und Verwandte. Dennoch sind die Kulturen, die sie mitgebracht haben, oft wenig bekannt, aber auch die Schweizer Kultur ist den Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund nicht umfangreich bekannt. Zu den Wohnräumen, die zuvor im Malerei-Saal zu sehen waren, verbirgt sich immer eine Person oder Familie, die nun im Gartenhof über Monitore in einem Kurzvideo ihre Zuwanderungsgeschichte mitteilen. Personen aus 195 Nationen erzählen beispielsweise eine kurze Geschichte aus ihrer Kindheit und Jugend oder wie sie in die Schweiz zugewandert sind. An diesen Hörstationen sind Erlebnisse und kurze Momente des Glücks, Fremdheit und Zugehörigkeit, Einblicke in die Vielfalt unterschiedlicher Nationalitäten seit sie in die Schweiz zugereist sind, zu hören. Diese 195 Hörstationen ermöglichen einen kurzen Einblick in unterschiedliche Geschichten der Schweizer Bevölkerung.

 

Über eine Treppe im Gartenhof gelangt der Besucher auf das Dach der Eingangshalle. Diese Fläche dient als Aussichtsplattform. Auf diese Weise wird dem Besucher der Blick nach unten ermöglicht, wo man das Gesamtbild der unterschiedlich hohen und in unterschiedliche Richtungen angeordneten Monitore einfangen kann. Erst hier oben ergeben die Monitore, die als einzelne Pixel des Gesamtbildes zu verstehen sind, eine Einheit. Aus dieser Distanz und Höhe ergibt die Anordnung das geografische Gesamtbild der Schweiz. Jeder Monitor ist auf der Kopfseite eingefärbt, sodass der Blick von oben die Schweizer Fahne abbilden lässt. Somit sieht der Besucher die Schweiz, die als Land durch Monitore geformt wird. Der dramaturgische und inhaltliche Bogen der Ausstellung schliesst mit der Erkenntnis ab, dass es keine reine Nation gibt, weder in der Schweiz noch sonst wo in der Welt. Viele Menschen sind trotz Generationen oder Einbürgerungen Gast in der Schweiz. Die Kategorisierung und die Angst der Überfremdung soll überwunden werden. Die Verbindung zu den biographischen Geschichten soll die Besucher über die Erfahrung mit Migration und Fremdheit in der Gegenwart aufklären.