Institut Kunst / Master

Oliver Falk

Untitled

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Rittmeister Richard wartet im Garten. Die Schlüsselszene im philosophischen Roman Gläserne Bienen (1957) des umstrittenen deutschen Klassikers Ernst Jünger. Es ist der Garten des mysteriösen Industriellen Zapparoni, Erfinder, unter etlichem Anthropoiden, eines Schwarms Glasbienen, deren übereifriges Bestäuben der technikskeptische Protagonist bezeugt. Während seiner moralischen Erwägungen schrumpft ihr Habitat – wenn man es noch (oder gerade) so nennen mag – der Garten, zu einem Mikrokosmos, in dem Mechanik und Metaphysik verschmelzen.

 

Eine ähnliche Verschmelzung scheint in dieser skulpturalen Installation Untitled statt zu finden; wohlmöglich im Brennofen der 25 Keramikröhren in 5 unterschiedlichen Glasuren, die zusammen ein kinetisches Wasserspiel ergeben. Vorbild ist hier jedoch nicht die unmittelbare Natur (oder unsere Idee davon), sondern die Form des Shishi Odoshi: traditionelle japanische Wasserspeier. Eingesetzt zum Verjagen des Ungetiers im Garten, ist ihr Prinzip mechanisch und musikalisch zugleich.

 

In einem Bambusrohr, das waagerecht mit einem Gegengewicht aufgehängt ist, sammelt sich solange das Wasser, bis sich das Rohr durch dessen Gewicht senkt, das Wasser aus dem Rohr rinnt, das Gegengewicht das Rohr zurückfallen lässt und es mit einem klopfenden Geräusch an einen Stein stößt. Das sich in Sicherheit wägende Tier erschreckt. Was hier zusammen fällt, ist die unsichtbare erfinderische Hand des Gartenbesitzers, seine zweckmässige Gestaltung der Natur, seine Manipulation von Habitat. Dieser Mensch greift in natürliche Kreisläufe ein, indem er die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien nachstellt und nutzt.

 

Während Jünger den Konflikt von natürlichem Ursprung und technologischer Indienstnahme dystopisch inszeniert, ist «Japan» hingegen oft Referent für die mögliche Synthese von ursprünglicher Nähe zur Natur und gelebter technologischer Utopie. Untitled verschmilzt diese Pole – indem das Element des Zufalls beigegeben wird: In welcher Verkettung eines der fünf unterschiedlich glasierten bzw. codierten Röhrentypen sein Wasser weitergibt und so den gesamten Lauf durch die 25 Röhren entscheidet, wurde durch ein nicht allein ausgeklügeltes, sondern vor allem ausgewürfeltes Aufstellmuster für das Wasserspiel bestimmt. Alea iacta est. Eine Rückkehr zum allein Organischen ist dieser Zivilisation nicht möglich.

 

Was aber bleibt dem Individuum, der BetrachterIn im wasserspeienden Röhrenwald? Das Geräusch, würde man sagen. Denn akustischer Ton und atmosphärische Tonalität sind in meiner künstlerischen Praxis untrennbar verbunden. Es geht um ein Hören, dass nicht instinktiv schreckt, sondern die kompositorischen Schnittstellen der Installation erfasst und in ihrer Gesamtheit geniessen kann. Das Musikalische der Mechanik selbst und vice versa. Eine systematische Ästhetik, die sich der Physik bedient und doch über sie hinausweist. So wie auch das Zen-Prinzip japanischer Gärten nach Metaphysis strebt. Und doch ohne die spezifische materielle Existenz und Eigenheit der einzelnen Elemente des Systems weder denk- noch erfahrbar ist.

 

Im Garten von Zapparoni macht Richard noch eine andere unerwartete Entdeckung: In einem Teich schwimmen Ohren. Künstliche Körperteile von Zapparonis Roboterfabrikaten, die ihnen von einem gekündigten Mitarbeiter aus der Ohrenabteilung abgeschnitten wurden. Zum Abschrecken potentieller neuer Mitarbeiter zieren sie diesen Garten. Doch wer das System erkennt, weiss sich zu schützen, Gehör zu verschaffen und schliesslich, ein neues, ein besseres Habitat zu entwerfen.

Oliver Falk «Untitled» | Institut Kunst, Master 2016